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Was ist Coaching (Teil 1)

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Coaches - sie scheinen gerade überall zu sein. Ob als Heilsbringer für finanziellen Erfolg, Gesundheit oder auch im beruflichen Umfeld. Und auch im professionellen Bereich sehen wir Business Coaches, Product Coaches, Agile Coaches - und selten ist genau klar, was sie eigentlich machen. Von partnerschaftlichen Begleiten in Entscheidungssituationen bis hin zu Scam und Ponzi-Schema: Oft sind die selbsternannten Coaches Verkäufer/innen, im harmlosen Fall nur für halbwegs hilfreiche Onlinetrainings, in extremen Fällen für selbstzerstörerische und ruinöse Sessions von narzistischen Youtubern.

Aber was machen seriöse Coaches, was können sie für dich tun, und wie erkennst du sie? Diesen Fragen widmen wir diese dreiteilige Serie über Coaching.

Was ist Coaching?

Coaching tritt im allgemeinen Verständnis gerne im Sinne der Sport-Coaches auf, also eine Person, die nach einem ausgelügelten Plan Tipps und Lösungen an die Hand geben und die Durchführung lautstark begleiten. Coaches treten also als Tippgeber/innen auf, die zu allen Problemen die Lösung kennen. Was natürlich impliziert, dass a.) der/die Coach dein Problem vollständig verstehen, und b.) es zu individuellen Herausforderungen standardisierte Lösungen gibt, die immer funktionieren. Wie gut sie funktionieren, kennen die meisten von uns aus eigener Erfahrung.

Coaching bzw. Coach als Berufsbezeichnung ist aktuell nicht geschützt, d.h. jede/r kann sich Coach nennen und als solche/r auftreten. Eine Ausbildung wie bei Therapie oder Mediation muss nicht nachgewiesen können. Es gibt zahlreiche Initiativen auf staatlicher und nicht-staatlicher Ebene (wie z.b. die ECVision – ein Europäisches Kompetenzprofil für Supervision und Coaching), verbindlich sind davon leider keine.

Schauen wir doch mal auf die verschiedenen Phasen, die bei der Bearbeitung von Fragestellungen und Problemen sich ergeben, unabhängig davon, wie sich der Berater oder die Beraterin nennt oder welche Beratungsform durchgeführt wird:

  • Es beginnt damit, dass ein Client hat ein Problem oder eine Fragestellung hat
  • Es findet eine Problem-Diagnose statt.
  • Es wird eine zur Diagnose passende Lösung erarbeitet bzw. empfohlen.
  • Die erarbeitete Lösung wird durchgeführt.

Ein Beispiel: Ich habe Kopfweh und eine laufende Nase und gehe zur Ärztin. Sie gibt mir die Diagnose (“das ist eine Grippe”), und sie gibt mir die passende Lösung (Behandlung für Grippe). Bei mir als Hilfesuchenden bleibt lediglich die Durchführung der Lösung (z.B. ein Arztneimittel), ich muss mich also auf Richtigkeit der Diagnose und der Lösung verlassen.

Mit dieser Unterscheidung lassen sich verschiedene Beratungsformen wie z.b. Coaching, Supervision, Therapie, Mediation oder Expertenberatung abgrenzen. Während es für sehr einfache Problemstellungen standardisierte Lösungen geben kann, scheitert es für komplexere Themen schon bei der richtigen Problemerkenntnis, sprich Diagnose.

Das (professionelle) Coaching kann in den genannten Phasen recht einfach einsortiert werden: Hier liegt der Fokus auf einem partnerschaftlichen Begleiten bei der Bearbeitung des Problems. Die Problemdiagnose wie auch die Lösung bleiben vollständig bei dem Clienten oder der Clientin. Coaching agiert hier als Prozessbegleitung, als Fragensteller. Ziel ist es, der Clientin neue Perspektiven auf ihr Thema zu ermöglichen, so dass sie zu neuen Lösungen kommen kann, die sie vorher vielleicht noch nicht gesehen hat oder zwar gesehen hat, sich nicht ganz sicher war.

Coaching is a form of professional counseling that inspires the coachees to maximize their personal and professional potential. It aims on initiating a transformational process. Goals and solutions are discovered along the way. Coach and coachees work together in a partnering relationship. The coachees are experts on the content level; the coach is an expert in professional counseling. (ECVision, S. 54)

Es gibt im professionellen Coaching sehr unterschiedliches Ansätze und Vorgangsweise, die je nach Thema oder Vorlieben alle hilfreich sein können. Coaches gehen aber immer davon aus, dass die Clientin immer die Expertin für ihr Problem, ihr Thema und ihr System ist. Coaches müssen deswegen auch das Problem nicht zur Gänze verstehen. Sie werden aber immer genau hinhören und das Thema so erfragen, dass die Clientin darüber nachdenken und für sich besser einordnen kann.

Manches Coaching im beruflichen Umfeld, wie z.B. dem Product Coaching, gibt auch Fach- oder Erfahrungswissen mit. Damit wird der eigentliche Rahmen des Coachings verlassen und ist wird deswegen von vielen Coaches strikt abgelehnt. Ich persönlich denke, dass auch Erfahrungswissen seinen Platz im Coaching haben kann, solange es als Angebot und als “so haben es andere gemacht”-Option zum richtigen Zeitpunkt in den Raum gegeben wird, so dass die Clientin ihre eigenen Ideen daran abgleichen kann oder inspiriert wird. Der schwierige Balanceakt hierbei ist allerdings, dass der Lösungsraum komplett in der Verantwortung der Clientin bleibt und die Coaches nicht die eigenen fixen Ideen einreden.

Welche Art von Coaching oder Beratung benötige ich?

Viele Fragen um Fachwissen, Tooling (Wie funktioniert Analytics? Welche Tools für Ticketing gibt es?) oder branchenübliche Taktiken (Wie kann ich eine Roadmap erstellen?) können über Trainings oder eine Fachberatung abgedeckt werden. Die im Training angebotenen Lösungen sind in der Regel standardisiert und an definierten learning objectives (LOs) orientiert, der Praxistransfer in den Berufsalltag muss dann in Eigenleistung erbracht werden.

Je komplexer aber eine Fragestellung wird, je mehr Unbekannte, je mehr “menscheln” eine Rolle spielt, desto weniger bieten Standardlösungen eine Hilfe. Hier kann Coaching enormen Wert stiften, insbesondere wenn auch die Fragestellung selbst noch unklar ist.

Viele der Product Coaches sind im eigentlichen Sinne Fachberater. Sie übernehmen das geschilderte Problem ohne es zu hinterfragen (die Diagnose bleibt also beim Kunden) und erarbeiten eine passende Lösung. Dies kann enorm hilfreich und zeitsparend sein, aber kann u.U. am Problem vorbei gehen. Benötige ich Hilfe beim Aufsetzen eines Trackings für meinen Webshop, ist die Fachberatung mit hoher Wahrscheinlichkeit die beste Wahl.

Mischformen

Natürlich gibt es nicht nur die Typen in Reinform, sondern auch Mischformen. Also z.B. ein Coach der am Ende des Coachings in der Lösungsdurchführung unterstützt. Oder eine Trainerin, die nach einem absolvierten Training als Coach für den Praxistransfer zur Verfügung steht.

Mein Tipp: überleg dir genau anhand der oben genannten Phasen, welche Art von Unterstützung gebraucht wird. Alle gute Coaches werden eine kostenlose Auftragsklärung mit dir machen, wo genau diese Modalitäten besprochen und vereinbart werden. Und damit kommen wir zum Teil 2:

Literatur

Credit: Foto von Dima Pechurin auf Unsplash.

Martin Stahl
Martin Stahl
Chief Product Officer (CPO)

Digital Product Manager in Startups for over a decade. Now Coaching, Training and Consulting for Digital Product Management.